Donnerstag, 27. Dezember 2012


Andreads 2012

Prolog:
Patti Smith – Banga
Als eingefleischter Fan lässt man bei ihr Altersmilde walten, zumindest bei Ihren Konzerten. Der Gig in Bonn (mit den Walkabouts im Vorprogramm) war schön, der Auftritt beim Schlingensief-Gedenken in der Akademie der Künste war spektakulär: „Because the Night“ improvisiert à cappella vor versammeltem Auditorium hatte schon was. Das Album ist das Beste seit „Easter“. Sehr schön auch die CD in opulenter Buchform. Der unterschätzte Lenny Kaye hat eine stimmungsvolle und abwechslungsreiche Produktion hinbekommen. Chapeau!

1.Chromatics – Kill For Love
Das Dreampop-Album des Jahres. So zeitlos wie etwa die Flaming Lips, Scritti Politti (tolles Comeback-Konzert!) oder Talk Talk. Ein 80-minütiger Lo-Fi-Trip auf rotem Vinyl. Weniger ist mehr galt dieses Jahr auch für XX („Coexist“) und Fenster („Bones“) aus Berlin, die noch groß rauskommen werden.

2.Quantic - Ondatropica
Will Holland war der fleißigste Mann des Jahres. Gleich 3 Alben (und 2 Tourneen) hat er absolviert: Cumbia-Wahnsinn auf einem Triple-Album („Ondatropica“), das phantastische Duett mit Alice Russell („Look Around the Corner“) und oben drauf noch eine Cover-Versions-LP („Los Miticos del Ritmo“). Zum Niederknien bzw. Tanzen!

3.Polica – Give You the Ghost
Frauen und Elektronik. Das Thema 2012. Nie wurden Autotunes so sexy und gekonnt dargeboten wie von Channy Leaneagh . Live noch besser als auf Platte. Etwas verträumter Julia Holter („Ekstasis“) und diesmal mit viel Pop Appeal: Barbara Morgenstern („Sweet Silence“).

4.Spain – The Soul of Spain
Das Comeback des Jahres. Das wir diese Band noch einmal erleben durften! In der Ruhe liegt die Kraft. Überrascht haben die Walkabouts („Berlin Live“) mit souveränem Album und Tourneen und auch Wovenhand („Laughing Stalk“), bei deren Gig im Bi-Nuu ich beinahe endgültig mein Gehör verloren hätte. Ein paar Wochen später tauchte David Eugene Edwards als Gitarrist bei Crime & The City Solution auf! Da bin ich gespannt aufs nächste Jahr.

5.Gemma Ray – Island Fire
Die Neu-Berlinerin hat vor allem durch ihre Bühnenaktivitäten überzeugt. Höhepunkt war ihr Auftritt mit dem Babelsberger Filmorchester, das die Songs ihres Albums nicht nur ausschmückte, sondern auch noch mehr Sinnlichkeit gab. Ähnlich betörend Mary Epworth („Dream Life“) und eine Stimme für 2013: Jessie Ware („Devotion“).

6.Camera – Radiate!
Postrock lebt. Nach unzähligen Gigs (u.a. mit Michael Rother) liegt nun das Debut dieses Instrumental-Trios vor. Improvisationskunst auf höchstem Niveau. Etwas verspielter die Berliner Kollegen von MOCK (s/t), die ich dieses Jahr sogar zufällig in Wien getroffen habe. Sehr viel Spaß machen Stabile Elite („Douze Pouze“) aus (La) Düsseldorf. So intelligent kann Elektro-Pop sein!

7.Ben Zabo – s/t
Wunderbare Beats aus Mali. Es ist zu hoffen, dass dieses Land hoffentlich bald wieder friedlich zur Ruhe kommt. Wir freuen uns zumindest auf die neuen Platten auf Glitterbeat in 2013. Noch mehr Musik aus aller Welt boten die LePop-Tour mit Sergio Mendoza („Mambo Mexicano“), eine Alternative/ Ergänzung zu den Calexico- und Giant Sand-Alben, sowie das Honest Jons Label mit Las Malas Amistades („Maleza“) mit bezauberndem Anti-Folk aus Kolumbien.

8.Magnetic North – Orkland Symphony
Eine Ode an die Stille mit Orchester und feinen Songs dargeboten von Erlend (& The Carnival) Cooper, Simon Tong und Hannah Peel. Noch stiller: Blue Nile’s Paul Buchanan („Mid Air“), noch dunkler: Andrea Schroeder („Blackbird“), die abseits der Bühne so erfrischend anders ist.

9.Electric Wire Hustle – s/t
Noch ein Geheimtipp aus Neuseeland. Vergleichbar mit Little Axe, als ob JJ Grey mit Fat Freddys Drop zusammen spielen würde. Downtempobluesdub, der vor allem live überzeugt. Freeform Electronica mit Seele bescherte uns Flying Lotus („Until the Quiet Comes“) und mit Köpfchen Mouse On Mars („Parastrophics“), die einen hinreißenden Gig im Berghain hingelegt haben.

10.Michael Kiwanuka – Home Again
Eine Platte, der vielleicht ein paar Ecken und Kanten fehlen, trotzdem sehr schön und mit viel Spielfreude gemacht. Voll überzeugend auf dem Berlin Festival im Flughafen Tempelhof. Ebenso auf diese Weise gelungen: Nick Waterhouse („Time’s All Gone“), sowie die Comebacks von Dexys (warum mussten wir so lange warten?), Garland Jeffreys (mit 70 sehr agil und mehr als solide) und Bobby Womack (intelligent arrangiert). Diese Stimmen wurden zu lange vermisst.

Epilog:
Marley – Arthaus DVD
Auf der diesjährigen Berlinale gab es leider nur einen guten Musikfilm, aber der hatte es in sich: das Biotopic zu Brother Bob. Auf fast 3 Stunden bekommt man nicht nur nie zuvor gesehenes Interview- und Concert-Footage in Hülle und Fülle, sondern auch (durchaus kritische) Einblicke in das kurze, aber ereignisreiche Leben des Rastas geboten. Die Geschichte des Reggae und Jamaicas gibt es quasi gratis dazu. Wer noch kein Weihnachtsgeschenk für gute Freunde hat: hier zugreifen!

Oder vielleicht doch Bücher? Zum Stones-Jubiläum nochmal das umwerfend lakonische Keith Richards („Life“) aus 2010 unbedingt auf Englisch lesen! Marc Fischer („Hobalala. Auf der Suche nach Joao Gilberto“) macht eine tragikomische Reise nach Rio und Bahia. Den Roman des Jahres über ihre berühmte Künstlerfamilie hat die RadioEins-Moderatorin Marion Brasch („Ab jetzt ist Ruhe“) geschrieben. Zum Schluss sei Euch Christoph Schlingensief („Ich weiß, ich war’s“) ans Herz gelegt. Das Gesamtwerk von Nils Koppruch gesungen und gemalt sowieso.

(An-Dréad)

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